Allgemeine Abgrenzung zwischen Mord und fahrlässiger Tötung 

Bevor die Frage beantwortet werden kann, ob bei Raserfällen von einem Mord gem. § 211 StGB (Strafgesetzbuch) auszugehen ist, muss zuerst festgestellt werden, ob bei einem Autorennen mit anschließendem Todesfall nicht nur eine fahrlässige Tötung einschlägig ist. Ein Mord kann dagegen nur angenommen werden, wenn bei der Tötung ein – zumindest bedingter – Vorsatz vorlag. Fehlt dieser Vorsatz bei Rasern, so kann nur von einer fahrlässigen Tötung gem. § 222 StGB ausgegangen werden.

Der Raser handelt mit Vorsatz, wenn er einen anderen Menschen töten will (Willenselement) und auch weiß, dass seine Handlung tödliche Folgen haben kann (Wissenselement). Gerade diese Abgrenzung ist bei Raserfällen die entscheidende rechtliche Frage.

Für den Raser wäre eine Verurteilung wegen einer fahrlässigen Tötung gem. § 222 StGB eindeutig die harmlosere Alternative. Ein Mord gem. § 211 StGB wird mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft. Die fahrlässige Tötung wird dagegen mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder sogar nur mit Geldstrafe bestraft. Der Raser hat daher ein erhebliches Interesse daran, dass Gericht von seinem fehlenden Vorsatz zu überzeugen.

Abgrenzung zwischen Mord und fahrlässiger Tötung in Raserfällen

Nimmt man die Abgrenzung zwischen Mord und fahrlässiger Tötung bei Raserfällen vor, muss man die Besonderheiten dieser Fälle beachten. Bei Rasern ist hinsichtlich der Beurteilung des Vorsatzes vor allem das Willenselement von Bedeutung: Es stellt sich die Frage, ob der Raser tatsächlich einen anderen Menschen töten wollte.

Die Rechtsprechung hat hierzu verschiedene Ansätze entwickelt. Der wohl gebräuchlichste Merksatz besagt, dass man von einem bedingten (Tötungs-)Willen ausgehen kann, wenn der Raser den Tod eines anderen Menschen zumindest billigend in Kauf nimmt. Anders formuliert, muss sich der Raser für die Annahme von Vorsatz also bereits im Vorhinein damit abgefunden haben, dass sein Fahrstil für einen anderen Menschen tödliche Folgen haben kann. Wann bei Autorennen ein solcher Wille anzunehmen ist und wann damit eine Strafbarkeit wegen Mordes infrage kommt, war lange Zeit sehr umstritten.

Rechtsprechung des BGH zum Vorsatz bei Autorasern

Der BGH (Bundesgerichtshof) äußerste sich in zwei entscheidenden Urteilen zu der Frage, wann bei einem Raser von Vorsatz ausgegangen werden kann. Der BGH legte dies einerseits im Urteil vom 01.03.2018 (Az. 4 StR 399/17) und andererseits im Urteil vom 18.06.2020 (Az. 4 StR 482/19) dar. In diesen Urteilen erläuterte der BGH, in welchen Fällen man bei einem Raser das für die Annahme von Vorsatz erforderliche Willenselement bejahen kann.

Die Gerichte haben gerade im Strafrecht häufig das Problem, dass man nicht in den Kopf der Angeklagten, also zum Beispiel des Rasers, blicken kann. Daher ist die Einschätzung subjektiver Tatbestandsmerkmale grundsätzlich schwierig. Der Raser wird wohl kaum freiwillig erklären, er habe den Tod einer anderen Person in Kauf genommen.  

Das Gericht muss daher den Willen des Rasers anhand der Gesamtumstände feststellen. Raserfälle unterscheiden sich von klassischen Mordfällen dadurch, dass der Raser nicht in sein Auto steigt mit der Absicht, einen Menschen zu töten. Rasern wird es regelmäßig eher um den Rausch der Geschwindigkeit und den Nervenkitzel gehen.

Zugunsten der Annahme, der Angeklagte habe mit einem tödlichen Unfall unter keinen Umständen gerechnet, spricht in solchen Fällen oft die stark erhöhte Eigengefährdung. In einer solchen Situation muss ein Fahrer davon ausgehen, dass jeder Unfall auch eine massive Gefahr für das eigene Leben darstellt. Hieraus kann man schließen, dass der Raser fest davon ausging, einen Unfall vermeiden zu können.

Für die Annahme, dass ein tödlicher Unfall von Vornherein zumindest billigend in Kauf genommen wird, spricht vor allem die Gefährlichkeit der Situation. Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man tagsüber durch die Innenstadt einer Großstadt fährt, oder ob es sich um eine nächtliche Landstraße am Rande eines Dorfes handelt. Genauso macht es einen riesigen Unterschied, ob der Raser mit 100 km/h oder mit 200 km/h durch die Innenstadt fährt. Je gefährlicher die Fahrt war, desto schlechtere Chancen wird der Raser vor Gericht haben.

Es gibt Situationen, in denen die Gefährlichkeit eines Autorennens ein so hohes Niveau erreicht, dass das Gericht dem Raser nicht mehr glaubt, dass er davon ausging, es werde schon alles gut ausgehen. In solchen Fällen hätte – nach Ansicht des BGH – jedem vernünftigen Menschen klar sein müssen, wie gefährlich die Fahrweise vor allem auch für unbeteiligte Dritte war.

Dem Raser kann hier auch der Vorwurf gemacht werden, er hätte genau gewusst, dass er im Ernstfall nicht mehr rechtzeitig reagieren kann. Der Raser hätte sich nicht in eine Situation bringen dürfen, in der ein Unfall außerhalb seiner Einflussmöglichkeiten liegt.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der BGH klar mitteilte, dass nicht pauschal erklärt werden kann, dass alle Raser zu Mördern (§ 211 StGB) werden, wenn sie den Tod eines anderen Menschen verursachen. Es ist vielmehr so, dass jeder Fall erneut geprüft werden muss. Es sind ebenso Autorennen mit tragischem Ende vorstellbar, in denen dennoch nur von einer fahrlässigen Tötung (§ 222 StGB) ausgegangen werden kann.

Allgemeine Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag

Auch wenn das Gericht davon ausgeht, dass der Raser den Tod eines anderen Menschen billigend in Kauf nahm, muss jedoch noch nicht zwingend ein Mord vorliegen.

Wenn zumindest bedingter Vorsatz hinsichtlich der Verursachung des Tods eines anderen Menschen vorlag, so ist noch zwischen einem Mord gem. § 211 StGB und einem Totschlag gem. § 212 StGB zu unterscheiden. Obwohl es sich um zwei schwere Delikte handelt, ist eine Verurteilung wegen Totschlags immer noch mit einer deutlich geringeren Straferwartung versehen. Das Gesetz sieht bei einem Totschlag eine Freiheitsstrafe von nicht unter 5 Jahren vor. Eine Verurteilung wegen Mordes führt dagegen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe (lebenslang bedeutet in Deutschland min. 15 Jahre). 

Aufgrund dieses erheblichen Unterschieds stellt sich die Frage, wie sich ein Mord von einem Totschlag unterscheidet. Zusätzlich zum Vorliegen des Vorsatzes, also einem Handeln mit Wissen und Wollen in Bezug auf die Tötung, muss bei einem Mord noch mindestens ein Mordmerkmal hinzutreten. Die Mordmerkmale ergeben sich aus dem Gesetz, genauer aus § 211 StGB.

Darin sind neun Mordmerkmale aufgezählt:

  • Mordlust
  • Befriedigung des Geschlechtstriebs
  • Habgier
  • Sonstige niedrige Bewegründe
  • Heimtücke
  • Grausamkeit
  • Mit gemeingefährlichen Mitteln
  • Um eine Straftat zu ermöglichen
  • Um eine Straftat zu verdecken

Jedes Mordmerkmal erfordert eine sehr genaue Prüfung. Da bei der Annahme von Mord kein Entscheidungsspielraum für das Gericht hinsichtlich des Strafrahmens besteht, muss in jedem Fall individuell abgewogen werden.

Abgrenzung zwischen Mord und Tatschlag in Raserfällen

Ob bei Raserfällen genug Anhaltspunkte für die Annahme eines Mordmerkmals vorliegen, kann nur nach einer sorgfältigen Überprüfung des vorliegenden Falles ermittelt werden. Schon kleine Änderung können dazu führen, dass der Raser nicht wegen einem Mord, sondern nur wegen einem Totschlag verurteilt wird.

In Bezug auf Raserfälle ist dabei nicht jedes Mordmerkmal gleich relevant. In Betracht kommen in solchen Fällen vielmehr immer wieder die gleichen Mordmerkmale.

Besonders relevant sind:

  • Heimtücke,
  • der Mord mit gemeingefährlichen Mitteln und
  • sonstige niedrige Beweggründe

Heimtücke wird grundsätzlich angenommen, wenn das Opfer sowohl arglos als auch wehrlos hinsichtlich der drohenden Gefahr war. Bei Autorennen kommt dieses Mordmerkmal dann zum Tragen, wenn man dem Raser vorwerfen kann, dass das Todesopfer aufgrund der hohen Geschwindigkeit keinerlei Chance hatte, einem Zusammenprall noch auszuweichen.

Gemeingefährliche Mittel werden angenommen, wenn von dem Fahrverhalten des Rasers eine Gefahr für eine ungewisse Menge an Personen ausgeht und der Raser im Grunde keine Kontrolle mehr über sein Fahrzeug hatte. Das gemeingefährliche Mittel ist dabei das Auto selbst, das zu einer Art von Waffe wird. Ein Raser, der mit 170 km/h durch die Innenstadt fährt, wird gar nicht mehr beeinflussen können, wie viele Menschen er bei einem Unfall erfasst. Das gilt vor allem in belebten Gegenden.

Sonstige niedrige Beweggründe können vor allem dann angenommen werden, wenn der Raser nur für den Adrenalinkick eine so gefährliche Situation geschaffen hat. Die Motivation des Rasers ist für das Gericht (und die Allgemeinheit) dann in keiner Weise mehr nachvollziehbar.

Kritik aus der Strafverteidigung an Verurteilungen von Autorasern wegen Mordes

Die Verurteilung von Rasern wegen Mordes gem. § 211 StGB wird dabei gerade von der Strafverteidigung auch kritisch gesehen. Hierbei wird vorgebracht, dass – wie bereits oben erwähnt – ein Raser keinen Menschen umbringen will, sondern nur einer sehr gefährlichen Tätigkeit nachgeht. 

Genau für solche Fälle enthält das Strafgesetzbuch Fahrlässigkeitsdelikte, so die Argumentation, wie etwa die fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB. Der Vorwurf, der Raser hätte einen Unfall billigend in Kauf genommen, stößt auf erhebliche Kritik.

Die Kritiker befürchten eine überzogene Verurteilung wegen Mordes, die so nicht im Sinne des Gesetzgebers war. Hierfür würde auch die Existenz des § 315 d StGB sprechen, dieser stellt verbotene Fahrzeugrennen unter Strafe. In § 315 d V StGB ist auch der Fall geregelt, dass es bei einem Autorennen zu einem Todesfall kommt. Aus diesem Grund wird zum Teil auch daran gezweifelt, ob Raser nicht nur wegen des weniger schwerwiegenden § 315 d V StGB zu verurteilen wären.

Strafverteidigung in Fällen von Autorennen und Raservorwürfen

Wie oben gezeigt, können bereits kleine Details in Raserfällen einen erheblichen Unterschied bezüglich der Höhe einer etwaigen Strafe machen. Die richtige Beurteilung solcher Feinheiten ist komplex, von entscheidender Bedeutung ist daher eine kompetente rechtliche Beratung.

Als erfahrene Strafverteidiger können wir Ihnen helfen, Ihre rechtliche Situation besser zu verstehen und die beste Strategie zu entwickeln. Wenn Sie Fragen zu Raserfällen in Ihrem individuellen Fall oder zu anderen strafrechtlichen Themen haben, kontaktieren Sie uns gerne.